Landrat-Brief zu Corona
Landrat Lothar Wölfle hat mit einem Brief die Kreisrätinnen und Kreisräte des Bodenseekreises über die aktuelle Lage aus Sicht der Kreisbehörde informiert. Er gibt Beispiele für die Arbeit der Katastrophenschutzbehörde, benennt in aller Offenheit die noch ungewissen Punkte und erklärt, warum das Landratsamt in dieser Situation nicht zu Hause bleibt. Hier der vollständige Text des Briefes:
Sehr geehrte Damen und Herren Kreisrätinnen und Kreisräte,
gerne möchte ich Sie über den aktuellen Stand der Präventionsmaßnahmen im Bodenseekreis und die Aktivitäten des Landratsamtes in der Corona-Krise unterrichten. Dies kann nur eine Momentaufnahme sein, weil sich die Herausforderungen täglich, manchmal stündlich ändern. Tagesaktuelle Informationen finden Sie auf der Homepage des Landkreises www.bodenseekreis.de. Ganz oben auf der Startseite (gelber Balken) finden Sie zwei Links, die Sie zu den neuesten Informationen führen, oder Sie klicken hier: www.bodenseekreis.de/corona
Lassen Sie sich von den Zahlen nicht blenden: sie spiegeln nicht die tatsächliche Lage wieder, und zwar aus zwei Gründen: zum einen vergeht zwischen den Tests und der Auswertung in einem privaten Labor in Weingarten einige Zeit – auch wenn die zwischenzeitlich dort aufgetretenen Probleme zumindest im Moment behoben sind. Zum anderen aber, und das ist viel wichtiger, ist die Krankheit nach Aussage aller Virologen längst in der Breite der Bevölkerung angekommen. Da – Gott sei Dank – in den allermeisten Fällen die Krankheit relativ unspektakulär verläuft oder gar nicht wahrgenommen wird, dürfte die Zahl der tatsächlich infizierten Personen bei einem Vielfachen der positiv Getesteten liegen. Und genau deswegen gelten auch die Hygienevorschriften – Hände waschen, Abstand halten, soziale Kontakte vermeiden wo immer möglich. Eines ist sicher: die Lage ist deutlich ernster, als sie von den meisten von uns wahrgenommen wird.
Wir befinden uns in Deutschland am Anfang der Entwicklung. Ich weiß nicht, ob wir Zustände wie in Bergamo oder Straßburg bei uns im Bodenseekreis erleben müssen. Aber ausschließen kann ich das nicht. Deshalb haben wir im Landratsamt alles unternommen, was uns möglich ist, um uns auf jede Herausforderung vorzubereiten – und das machen wir jeden Tag aufs Neue.
Zwar ist der Katastrophenfall nicht ausgerufen, da das Landratsamt als Katastrophenschutzbehörde aber über einen Krisenstab („Verwaltungsstab“) verfügt, nutzen wir diese Struktur. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Stabes sind weitgehend von ihrer normalen Tätigkeit befreit und arbeiten fast ausschließlich im Krisenmodus. Leiter des Verwaltungsstabes ist Herr Erster Landesbeamter Keckeisen. Darüber hinaus trifft sich die Führung des Verwaltungsstabes täglich mit mir zu einer „kleinen Stabssitzung“, um möglichst schnell notwendige Entscheidungen treffen zu können – im Zweifel natürlich auch auf Zuruf zwischen unseren Treffen.
Als einer der ersten Landkreise in Deutschland haben wir eine zentrale Teststelle in Oberteuringen eingerichtet. Die Gemeinde hat uns unkompliziert das Gelände überlassen, die Fa. Zeppelin stellte uns innerhalb kürzester Zeit drei Container zur Verfügung – danke dafür. Mittlerweile hat sich gezeigt, dass es nicht reicht, einfach Personen nur zu testen; vielmehr müssen diese vorher ärztlich untersucht werden. Wir haben daher das Testzentrum zur ärztlichen Ambulanz erweitert und in die Messehalle B 5 verlagert. In dieser Halle haben wir mit Hilfe des Teams der Messe auch eine Notunterkunft für 100 Personen errichtet, weitere 100 Betten sind vor Ort gelagert. Ob wir diese und die nachfolgend noch aufgeführten Maßnahmen brauchen, weiß niemand. Die Entwicklungen weltweit sprechen jedoch eine eindeutige Sprache. Wir müssen also vorbereitet sein.
Parallel zur Einrichtung des Landkreises haben Ärzte aus Überlingen eine ähnliche Einrichtung aufgebaut. Der Landkreis hat dafür die Sporthalle am Berufsschulzentrum zur Verfügung gestellt. Bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) konnte ich erreichen, dass beide Einrichtungen von der KV finanziert werden, obwohl deren Vorgabe war, dass pro Landkreis nur eine Einrichtung errichtet werden soll. Ab Montag, 30. März, wird auch die Einrichtung in Überlingen unter der Ägide des Bodenseekreises betrieben. Die ärztliche Versorgung beider Ambulanzen wird durch die niedergelassenen Ärzte sichergestellt, die Zuarbeit (Verwaltung, Organisation etc.) übernehmen in Überlingen Mitarbeiter der Stadt, in Friedrichshafen Kolleginnen und Kollegen aus dem Landratsamt.
Durch Kontakte aus der Ärzteschaft ist es gelungen, zwölf Beatmungsgeräte zu kaufen, die dafür erforderlichen Mittel habe ich frei gegeben. Von der Fa. Airbus in Immenstaad wurde uns eine Notfallbehandlungsstation angeboten. Auch hier habe ich entschieden, mit dem Landkreis in Vorleistung zu gehen. Die Station ist mittlerweile am Klinikum in Friedrichshafen aufgebaut. Nachdem entgegen den politischen Ankündigungen aus Berlin und Stuttgart die notwendige Schutzkleidung zuerst gar nicht, in der Zwischenzeit spärlich eingetroffen ist, hat der Verwaltungsstab andere Bezugsquellen eröffnet, wir haben 10.000 komplette Schutzanzüge einschl. FFP3-Masken (höchste Sicherheitsstufe) und Schutzbrillen bestellen können, um im Ernstfall Kliniken, Altenheime, Pflegedienste, Behinderteneinrichtungen, Ärzte etc. versorgen zu können. Das hört sich auf den ersten Blick viel an, ist im Zweifel aber eher noch knapp kalkuliert. Die genannten Maßnahmen belaufen sich im Moment auf etwa eine Mio. Euro. Dieser Betrag erhöht sich nahezu täglich. Wir kaufen z.B. an Schutzausrüstung, was wir bekommen können, wozu uns das Sozialministerium auch ausdrücklich aufgefordert hat. Natürlich werden wir die Kosten den jeweiligen Einrichtungen weiter berechnen. Ob wir alles komplett wiedererstattet bekommen, kann ich nicht definitiv zusagen.
Wir stehen im ständigen Kontakt mit den Nachbarkreisen – ich mit meinen Landratskollegen, alle anderen auf der jeweiligen Ebene –, mit den Krankenhäusern in der gesamten Region, vor allem aber natürlich mit den Kliniken in Überlingen, Friedrichshafen und Tettnang. Der Kontakt zu den niedergelassenen Ärzten ist eng, vor allem mit den sehr engagierten Ärzten, die im Auftrag der KV die beiden Ambulanzen betreuen. Allerdings gibt es traurige Ausnahmen, über die auch die ärztlichen Kollegen nur den Kopf schütteln können. So hat z.B. eine Kinderärztin sich geweigert, ein Baby mit 40 Grad Fieber zu untersuchen, weil beide Eltern positiv getestet sind. Gott sei Dank sind das nur Ausnahmen – aber die kosten natürlich Zeit und Kraft. Ein Kinderarzt, der seinen Auftrag ernst nimmt, hat die Untersuchung dann vorgenommen.
Im Landratsamt selber ist neben dem Krisenstab natürlich vor allem das Gesundheitsamt gefordert. Dort laufen die Fäden zusammen. Dorthin melden Ärzte die Verdachtsfälle, dorthin werden Patienten gemeldet, die in den beiden Ambulanzen in Friedrichshafen und Überlingen untersucht werden sollen. Dort werden die Termine für die Untersuchungen vergeben und dort gehen die Untersuchungsergebnisse bei positiv getesteten Personen ein. Dann beginnt das sogenannte Containment oder Kontaktpersonenmanagement. Jede positiv getestete Person wird angerufen, es wird nach den engen Kontakten gefragt, eruiert, welcher Art der Kontakt war, Telefonnummern, Adressen etc. erhoben. Dann müssen diese Kontaktpersonen angerufen werden. Das erfordert manchmal Telefonate von einer halben Stunde und mehr, weil manche so aufgeregt sind, dass sie keine vernünftige Antwort geben, und andere nicht einsehen wollen, dass sie nun besonderen Vorgaben unterliegen. Bestätigt sich, dass es sich um eine Kontaktperson ersten Grades handelt (enger Kontakt, mindestens 15 Minuten „face-to-face“ oder direkter Kontakt zu Köperflüssigkeiten einer infizierten Person, oder Kontakt von medizinischem Personal zu einer infizierten Person), wird für diese Person sofort durch das Gesundheitsamt telefonisch häusliche Quarantäne angeordnet. Danach wird die Ortspolizeibehörde (Gemeinde) informiert, die dann die sogenannte Absonderungsverfügung erlässt und der entsprechenden Person zustellt. Ich beschreibe das so ausführlich, um zu verdeutlichen, welcher Aufwand hinter diesem Kontaktpersonenmanagement steckt. Wir haben dazu im Gesundheitsamt ein zusätzliches Telefonzentrum eingerichtet, in dem zeitgleich bis zu 20 Personen aus dem gesamten Haus telefonieren können. Weitere Personen stehen bereit, um ggf. die Kapazitäten zu erweitern. Wir haben die Besetzung im Gesundheitsamt mehr als verdoppelt. Was uns allerdings an allen Ecken und Enden fehlt, sind Ärzte. Wenn Sie jemanden kennen, der z.B. im Ruhestand ist und bereit wäre zu helfen: sprechen Sie ihn oder sie gerne an.
Was tut sich sonst im Landratsamt? Die Pressestelle – im Wesentlichen Herr Schwarz alleine – steht unter Dauerstrom. Unzählige Informationen, die von Bund, Land, aus dem Landkreis und den Städten und Gemeinden kommen, müssen gesichtet und zu einem möglichst einheitlichen Bild zusammengefügt werden. Informationen, die wir herausgeben, müssen verlässlich sein, um nicht die ohnehin vorhandene Verunsicherung der Bevölkerung noch zu befeuern.
Das Landwirtschaftsamt versucht gemeinsam mit dem Jobcenter und den Maschinenringen genügend Erntehelfer zu finden. Das Jobcenter ist mit den Themen Kurzarbeit und Betriebshilfen mehr als eingedeckt. Das Jugendamt hat eine erhöhte Zahl von Familienkrisen zu bewältigen, weil Kinder und Eltern zuhause sind und nicht raus dürfen – das kennt man ja von der Weihnachtszeit. Wir haben telefonische Beratungen in den Familientreffs angeboten. Das Amt für Wasser- und Bodenschutz steht im ständigen Kontakt mit den Wasserversorgern im Landkreis, um die Wasserversorgung auch dann sicher zu stellen, wenn ein Wassermeister krank wird. Das Sozialamt und die Heimaufsicht sind besonders gefordert, weil immer mehr ältere Menschen nach einem Krankenhausaufenthalt, der nicht unbedingt coronabedingt sein muss, nicht mehr in den Heimen aufgenommen werden können. Andere werden nicht mehr von den Pflegediensten versorgt, weil auch die krankheits- oder quarantänegeschwächt sind. Wir sind hier in engem Kontakt mit den Kureinrichtungen in Überlingen. Das Hauptamt schließt mit den medizinischen Hilfskräften, vor allem Medizinstudenten, die notwendigen Verträge ab, das Rechts- und Ordnungsamt prüft die Verträge z.B. mit Airbus oder Zeppelin. Die Polizei hat angekündigt, verstärkt die Einhaltung des Versammlungsverbotes zu überwachen, für die entsprechenden Bußgeldbescheide ist das Landratsamt zuständig. Das Sachgebiet Brand- und Katastrophenschutz hält laufend Kontakt zur Rettungsleitstelle, den Rettungsdiensten und den Feuerwehren. Dieses Sachgebiet ist auch für Beschaffungsmaßnahmen von Schutzkleidung, Desinfektionsmittel etc. zuständig. Die Kämmerei hat Sonderregelungen für die Barauszahlungen an SGB II-Empfänger und Bezieher von Asylbewerberleistungen erlassen. Das Amt für Migration und Integration schaut laufend in den Gemeinschaftsunterkünften nach dem Rechten, einzelne besonders gefährdete Personen (Alter und Vorerkrankungen) haben wir mittlerweile gesondert untergebracht. Das sind nur einige Beispiele, letztlich sind alle Bereich des Landratsamts von der derzeitigen Lage erfasst. Das Landratsamt ist für den Publikumsverkehr weitgehend geschlossen, natürlich sind wir für Menschen mit dringendem Hilfebedarf da, etwa im sozialen Bereich. Hier vereinbaren wir telefonisch Termine; der Sicherheitsdienst, den wir aufgrund der Vorfälle vor einigen Wochen ohnehin engagiert hatten, wurde verstärkt und sorgt für einen wirklich reibungslosen Ablauf. Auf diese Weise stellen wir sicher, dass die notwendigen Hygienemaßnahmen im Dienstbetrieb zum Schutz von Mitarbeitern und Kunden eingehalten werden können. Trotzdem müssen wir immer wieder Menschen erklären, dass z.B. eine Ummeldung eines Fahrzeugs von einem FN- zu einem ÜB- oder TT-Kennzeichen kein Notfall ist, der unbedingt jetzt erledigt werden muss.
Innerhalb des Hauses haben wir die Ämter gebeten, wo immer sinnvoll die Möglichkeiten des „homeoffice“ zu nutzen. Wir haben dafür mittlerweile über 500 Geräte Einsatz. Wir versuchen möglichst passgenaue Regelungen zu finden. Für die Straßenmeistereien sieht das anders aus wie für das Liegenschaftsamt, für die Volkshochschule anders als für die Kämmerei. Wir haben eine großzügige Regelung getroffen für alle Mitarbeiter, die auf Kinderbetreuung angewiesen sind. Natürlich stellen auch wir uns auf Krankheitsfälle ein, wir haben mittlerweile eine Reihe von positiv getesteten Mitarbeitern mit der Folge, dass deren unmittelbare Kollegen in Quarantäne müssen. Gott sei Dank ist bislang keiner der Kolleginnen und Kollegen ernsthaft erkrankt. Alle hausinternen Maßnahmen stimmen wir mit dem Personalrat ab, für dessen konstruktive Mitarbeit ich sehr dankbar bin. Ich will aber auch klar sagen, dass wir keine allgemeine Regelung getroffen haben, alle Mitarbeiter nach Hause zu schicken. Im Gegensatz zur freien Wirtschaft sieht der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst keine Kurzarbeiterregelung vor.
Und, um einen Mitarbeiter zu zitieren: „Wir werden von der Allgemeinheit bezahlt, dann müssen wir vor allem dann für diese Allgemeinheit da sein, wenn sie uns am meisten braucht.“ Der Kollege hat mir aus dem Herzen gesprochen. Ich spüre einen tollen Teamgeist und – mit wenigen Ausnahmen, die es vermutlich immer gibt – ziehen alle mit.
Ich komme zurück auf das, was ich eingangs geschrieben habe. Dieser Bericht ist eine Momentaufnahme, vielleicht ist er im einen oder anderen Punkt schon überholt, wenn Sie ihn lesen. Ich hoffe trotzdem Ihnen einen kleinen Einblick gegeben zu haben in das, was „Ihr“ Landratsamt gerade tut. Und hoffentlich konnte ich Ihnen vermitteln, dass wir mit allem, was menschenmöglich ist, uns auf schwierigere Zeiten vorbereiten.
Danke übrigens, dass nur wenige von Ihnen sich mit Fragen an uns gewendet haben. Ich z.B. komme fast nicht nach, alles zu lesen, was fast im Minutentakt von Bund und Land, vom Robert-Koch-Institut und vom Landkreistag, von der Bundeswehr und den anderen Landkreisen kommt. Ich versuche trotzdem auf dem Laufenden zu bleiben, um den Kolleginnen und Kollegen die richtigen Hinweise zu geben. Natürlich bin ich auch vor Ort, etwa beim Aufbau des Notfallkrankenhauses bei der Klinik in Friedrichshafen, bei der Einrichtung der Fieberambulanz oder immer wieder im Gesundheitsamt. Ähnliches gilt für alle im Haus, die „nah am Geschehen“ sind. Daher wiederhole ich nochmals das Angebot, sich aktuell auf unserer Homepage zu informieren.
Beste Grüße aus dem Landratsamt.
Lothar Wölfle
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